Dutzende Gemeinden mit unglaublichen Verlusten

STRENGERE REGELN FÜR GEMEINDEN?

Wieder einmal bewahrheitet sich die alte Forderung der KPÖ, dass mit Geldern der Allgemeinheit keine Spekulationen betrieben werden dürfen. In über 90 niederösterreichischen Gemeinden sind enorme Verluste zu erwarten. Die meisten von ihnen hatten auf Zinsverläufe ("Zins-Swaps") gewettet, nach anfänglichen Gewinnen sind die Investments nun weit in der Verlustzone. Der Hilferuf an die Banken wird wohl ungehört verhallen. Die Zeche werden die BürgerInnen der betroffenen Gemeinden zu tragen haben – bei Sozialem, Infrastruktur, Bildung, … wird in der Regel als erstes eingespart:

Laut einem Artikel im "Der Standard" wird derzeit fieberhaft daran gearbeitet, jene 90 Gemeinden aus den hochspekulativen Finanzgeschäften herauszuholen, die seit Ausbrechen der Finanzkrise Millionenverluste verursacht haben. Der Druck seitens der (mehrheitlich der Landeshauptmannpartei ÖVP zugehörigen) Bürgermeister steigt, wurden ihnen die Deals doch zu einem guten Teil von der "schwarzen" Raiffeisen-Landesbank NÖ-Wien angedient.

Das Beispiel Marktgemeinde Warth ging bereits durch die Medien: Gemeindevertreter der Ortschaft in der Buckligen Welt hatten seit 2005 vier spekulative Zinsgeschäfte im Gesamtanlagewert von zwei Millionen Euro auf Vermittlung der RLB abgeschlossen (wer die Institute hinter den Produkten sind, darüber schweigen die Giebelkreuz-Banker eisern). Im Prinzip waren es Wetten auf den Verlauf der kurzfristigen Marktzinsen. Anfangs gab es eine Gewinngarantie, und die Gemeinde lukrierte rund 70.000 Euro. Inzwischen sind die Geschäfte per Saldo rund 20.000 Euro unter Wasser, bis Jahresende könnte es das Vierfache sein.

Der damals zuständige VP-Bürgermeister ist zurückgetreten, die SP-Opposition drängt bei der neuen Ortschefin (die VP regiert in der 1700-Einwohner-Gemeinde absolut) auf Ausstieg – und fordert den Gang zum Gericht.

Doch Warth ist nicht allein mit Finanzproblemen: Göstling/Ybbs soll mit Zins-Swaps heuer quartalsweise 150.000 Euro verloren haben; Retz (Weinviertel) 320.000 Euro, in Hofamt Priel (Bezirk Melk) sollen aus Fremdwährungs- und Devisentermingeschäften sowie Immobilienaktien bis zu zwei Millionen Euro Buchverlust entstanden sein; Bad Vöslau investierte in Meinl-European-Land-Zertifikate, die 85.000 Euro an Wert verloren; Euratsfeld bei Amstetten verlor 63.000 Euro; in Bruck/Leitha sind Aktien und Zins-Swaps 1,2 Millionen Euro im Minus.

Manche Gemeinden behaupten nun, dass man nicht ausreichend über Risiken informiert worden sei. Es geht das Gerücht, dass sich einige zusammenschließen wollen, um eine Art Sammelklage einzubringen.

Insgesamt rund 90 Gemeinden haben sich wie berichtet ans Land um Hilfe gewandt. Rund 50 davon sollen mit Raiffeisen Geschäfte gemacht haben, aber auch andere Banken hätten ähnliche Produkte an Gemeinden verhökert. Wie hoch der Einsatz für das Pokern an den Finanzmärkten in Summe war, ist laut Behörden nicht bekannt, da derartige Geschäfte – im Gegensatz zu Grundstücksverkäufen und Darlehensaufnahmen – nicht genehmigungspflichtig seien.

"Für beide Seiten ist die Sache nicht angenehm", heißt es im St. Pöltener Landhaus, man suche nach Lösungen. Doch könne man Raiffeisen und Co nichts diktieren, wird betont. Als Ausweg sollen die Banken den Gemeinden neue, "sichere" Geschäfte angeboten haben. Mit den Erlösen daraus sollen alte Verluste abgedeckt werden. Gemeinden könnten dabei etwa Haftungen für diverse Geschäfte aus dem Bankbereich übernehmen, für die eine Prämie bezahlt werde.

Ein Sprecher der RLB-NÖ-Wien, sagte zum Standard: "Wir haben keine akuten Problemfälle mehr und richtig beraten." Bei weniger als zehn Gemeinden würden Verluste entstehen.

Das Land will derartige Vorgänge jedenfalls nicht wiederholt sehen und richtet ab 2009 eine Beratungsstelle für Gemeinden in Finanzfragen ein.

gra, szem, ung, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.10.2008

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