Gedankensplitter: Was ist das Ziel? Welche Visionen leiten die politische Elite?

Diese beiden Fragen drängen sich auf, wenn man die Entwicklungen in Europa gefühlsmäßig zu erfassen versucht. In den vergangenen Monaten konnte man als Konsument der leicht zugänglichen und billig bzw. gratis zu erhaltenden Printmedien in Österreich den Eindruck gewinnen, dass das Projekt „Europäische Union“ seinen Zenit längst überschritten hat, und die ersten Anzeichen eines (herbeigeredeten?) Zerfalls erkennbar werden. Ein Projekt, welches über die strukturelle Verschränkung der Wirtschaft den Versuch unternommen hat, über einen gemeinsamen Markt möglicherweise auch andere Gemeinsamkeiten zu entwickeln, die es den Menschen auf diesem Kontinent ermöglichen sollten ein Wir-Gefühl zu entwickeln, und sich nicht über ein auf sich selbst bezogenes Schrebergartendenken zu definieren.

Wenn es tatsächlich einmal den informellen Plan gegeben haben sollte über die EU einigend auf die einzelnen Individuen einzuwirken, dann ist zumindest dieser Plan kläglich gescheitert. Es zeigt sich nämlich, dass die einzelnen Mitgliedstaaten eher dazu tendieren statt eines geeinten Europas Zweckbündnisse zu schmieden um so bestmöglich ihre Partikularinteressen zu vertreten. Zusätzlich scheint es den einzelnen Parlamenten zu helfen wenn sie die „EU“ mit all ihren Gremien als Sündenbock hinstellen können. Dabei nutzen diese Agitatoren mögliche Wissenslücken der Wählerinnen und Wähler schamlos aus. Damit, dass bewusst mit dem Finger auf Institutionen der EU gezeigt und diese zum Teil auch der Lächerlichkeit (durch mediale Verbreitung von Ergebnissen, die durch eine verkürzte und ev. auch falsche Darstellung der Fakten, welche dadurch einen skurrilen Zug bekommen) preisgegeben werden. Die durch diese Praktiken entstandene Dynamik hat vielerorts dazu geführt, dass Nationalismen stark zugenommen haben.

Was ist also das Ziel? Kann es Ziel sein, dass die EU eine „Sozialunion“ wird? Wäre ein solches Ziel überhaupt möglich, wenn man bedenkt, dass das oberste Prinzip das Kaputtsparen von Volkswirtschaften ist, indem man die Mehrheit der Bevölkerung finanziell ausblutet? Wie soll es gelingen, ein geeintes Europa zu erschaffen, wenn das individuelle Wohl der Menschen keinen Wert mehr hat? Ein Aushungern der Bevölkerung durch Einsparungen in den Bereichen Gesundheit, Altersvorsorge, Infrastruktur und Bildung befriedigt möglicherweise einzelne Rentiers, bedeutet aber gleichzeitig, mit dem Leben der meisten anderen Menschen zu spielen.

Um es klar zu formulieren: Ich bin davon überzeugt, dass die mittlerweile weltweit etablierte wirtschaftsdogmatische Religion bereits sehr viele Menschen auf dem Gewissen hat. Ein Wirtschaftssystem das Menschenleben fordert ist zur Gänze abzulehnen. Sobald eine jede Entscheidung nur mehr im Rahmen von Gewinnbestrebungen einiger Weniger getroffen wird, und die Gemeinschaft das Nachsehen hat, muss eine neue Form des Zusammenlebens gefunden werden. Es kann doch nicht sein, dass nach wie vor die besten Geschäfte mit der Waffenlobby gemacht werden. Es kann doch nicht sein, dass bevor ein „global Player“ zur Kassa gebeten wird, 99 % der Bevölkerung die Last zu tragen haben. Es kann doch nicht sein, dass der Gewinn privat aber das Risiko auf die Allgemeinheit übergewälzt wird.

Sind wir wirklich schon so korrumpiert, dass es uns nicht gelingt, uns zu solidarisieren und gegen die Mechanismen vorzugehen, die unsere allgemeine Armut begründen und rechtfertigen? Natürlich ist es leichter auf die hinzuhauen, die schwächer sind. Aber selbst wenn diese Schwächeren nicht mehr da sein sollten bleibt das Übel weiter bestehen. Liegt es daran, dass wir alle gelernt haben, dass man die Hand, die einen füttert nicht beißen soll? Ich könnte mir vorstellen, dass gerade diejenigen, die zu dem einen Prozent der Gewinner zählen diesen Spruch gerne dann verwenden, wenn man deren Verhalten und mangelnde soziale Verantwortung kritisch hinterfragt.

Ich glaube, dass es wieder an der Zeit ist, neue gesellschaftliche Utopien und Visionen zu entwickeln, die dazu führen, eine Weltgesellschaft zu erschaffen, die es allen Menschen gleich von Geschlecht und Alter ermöglichen ein menschenwürdiges Leben zu führen. Eine Gesellschaft, die nicht von Neid, Geiz und Hass geprägt ist, sondern von einem friedlichen und kooperativen Miteinander. Eine Gesellschaft, die es ermöglicht, sich persönlich zu entfalten und damit die Menschheit als Ganzes zivilisatorisch weiterentwickelt.

Nach der industriellen und technischen Revolution wird es meines Erachtens wirklich schon langsam Zeit, dass wir mit vereinten Kräften an einer intellektuellen/humanistischen Revolution arbeiten. Der Mensch an sich ist ja aufgrund seiner biologischen Eigenheiten ein sozial abhängiges Wesen. Wie kann es uns gelingen, dass wir dieses Faktum bei all den bestehenden Unterschiedlichkeiten und Individualitäten in ein Gesamtkonzept integrieren, und danach leben lernen? Es geht nicht darum, plötzlich alle Menschen über einen Kamm zu scheren und gleich machen zu wollen. Es geht darum, das vorhandene Potential für gemeinsame Ziele zum Wohle aller zu nutzen. Wäre doch ein schönes Ziel von dem man träumen kann – oder?

Roland W., Niederösterreich

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