Jugend braucht Freiräume

Renate Strauss, Gemeinderätin der "Liste Schuh – Kommunisten und Parteilose", Fischamend

Im Vergleich zu ihren Eltern erlebt die heutige Jugendgeneration die Welt, in der sie heranwächst, als unüberschaubar und komplex. Die Jugendlichen sind Kinder einer Multioptionsgesellschaft. Sie sehen sich mit einer Überfülle an konsumtechnischen Angeboten konfrontiert, die ihnen einerseits viele Möglichkeiten eröffnen, sie jedoch andererseits schon sehr früh beeinflussen und zum Teil auch isolieren. Hinzu kommt der allmähliche Verlust an bislang gültigen Sicherheiten. Lebensplanung scheint für die heute 14 bis 15 Jährigen nicht viel mehr als ein kühner Traum zu sein: höhere Bildungsabschlüsse sind kein Garant mehr für einen sicheren Arbeitsplatz, die regional verfügbaren Ausbildungs- und Arbeitsplätze werden weniger, das Pensionssystem steht zur Diskussion und auch im privaten Bereich scheinen langfristige Sicherheiten durch eine hohe Scheidungs- und Trennungsrate ein zunehmend rares Gut zu werden. Auf all das reagiert die heutige Jugend mit eine verstärkten Bedürfnis nach Orientierung und Geborgenheit. Besonders mit Beginn der Pubertät gewinnt der Freundeskreis als Bezugs- und Orientierungssystem gegenüber der Familie an Bedeutung. In Kleinstädten wie Fischamend ist die Bildung von so genannten Gruppen gut zu beobachten. Dabei sind diese Gruppen höchst unterschiedlich, abhängig davon wodurch sie sich definieren, sei es Musik, Sport, Feuerwehr, Kirche oder Schule. All diesen Gruppen müssen nun Freiräume zur Selbstverwirklichung und für Treffen offen stehen. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass diese unterschiedlichen Gruppierungen unter nur einem Dach zusammengeführt werden können und durch die Bereitstellung des Jugendzentrums in der Gregerstraße schon genug Freiraum für Jugendliche zur Verfügung gestellt wird. Die Weigerung einiger Jugendgruppen, das vorhandene Angebot anzunehmen, darf nicht als Zeichen des generellen Desinteresses gedeutet werden, sondern als Unzufriedenheit mit dem aktuellen Angebot. Dies erfordert eine offene Kommunikation der Verantwortlichen in der Stadtverwaltung mit den Jugendlichen, welche derzeit leider nicht oder in zu geringem Ausmaß stattfindet. Gerade Institutionen wie beispielsweise der ATSV Fischamend, die Feuerwehr und der Stand up Club, bieten den Heranwachsenden die oben angesprochenen wichtigen Freiräume: Sport als Mittel zum Aggressionsabbau, Feuerwehr als Dienst an der Gesellschaft und autonome, gewaltfreie Jugendkultur zur Selbstverwirklichung. Für die Erhaltung und Ausweitung dieser Freiräume sollten klare Maßnahmen zur Unterstützung von Vereine ausgearbeitet werden, welche nicht die politische Vereinnahmung als höchstes Ziel ansehen. In Ermangelung von offenen Plätzen zum Gestalten verlagert sich das Leben der Jugendlichen ins Private, sofern die Eltern dies zulassen, oder auf Veranstaltungen und Parties, wo ein gemeinsames Erleben der Freizeit innerhalb der Gruppe möglich wird. Die Gefahr dabei besteht jedoch, dass anstatt des aktiven Gestaltens hier die passive dröhnende Beschallung im Bierzelt im Vordergrund steht und diese nur durch den Genuss von Alkohol erträglich wird. Und so tritt der unerwünschte Effekt ein, dass, will man weiterhin der Gruppe angehören, der Konsum von Alkohol zu einer erdrückenden gruppendynamischen Verpflichtung wird. Gerade in der wichtigen Phase des Erwachsenwerdens ist das Vorhandensein von offenen Orten zum gemeinsamen Gestalten besonders wichtig. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden gesellschaftlichen Individualisierung könnte zusätzlich ein Sozialzentrum (oder wie man es auch immer nennen möchte) diesem Trend entgegentreten und zu einem weiteren offenen und gestaltbaren Ort der Begegnung über alle Altersgrenzen hinaus werden. Renate Strauss ist Gemeinderätin der Liste Schuh – Kommunisten und Parteilose, Fischamend (Übernommen aus dem „Stadtboten“ Nr. 4/2007 der Stadtgemeinde Fischamend)

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