„Piraten, FPÖ, Stronach – immer diese Hypes!“

KLS GR Mag. Wolfgang Mahrer

Der Kommunist Wolfgang Mahrer saugte der Kremser ÖVP Stimmen ab und schaffte es auf 6,9 Prozent – die Leute seien „angefressen“, meint er

Bei den Gemeinderatswahlen im niederösterreichischen Krems an der Donau schafften es die Kommunisten und Linkssozialisten (KLS) unter Wolfgang Mahrer einen Sprung auf 6,9 Prozent der Stimmen (plus 2,7 Prozent). Mahrer, der seit zwei Jahren Gemeinderatsmitglied ist und wegen seiner scharfen Kritik von der ÖVP aus mehreren Gemeinderatsausschüssen geworfen wurde, erklärt im derStandard.at-Interview warum: Die „Geldverschwendung“ der ÖVP sorge für Missmut in der Bevölkerung, meint Mahrer. Die schwarze Bürgermeisterin sei „dem Phänomen der Ostblock-Regierungen erlegen“, sagt der Kommunist, der nicht KPÖ-Mitglied ist.

derStandard.at: Herr Mahrer, Sie haben es bei den Kremser Wahlen auf 6,9 Prozent der Stimmen gebracht. Wie viele ÖVP-Stimmen sind denn diesmal zu den Kommunisten gewandert?

Wolfgang Mahrer: Ich würde sagen, dass ein Großteil des Stimmenzuwachses aus dem ÖVP-Lager kommt.

derStandard.at: Wie beurteilen Sie das, wenn Christlichsozial-Konservative jetzt kommunistisch wählen?

Mahrer: Das stört mich überhaupt nicht. Meine Mutter war erste Stadträtin in Krems nach 1945, für Schul- und Kulturwesen. Sie hat damals sehr viele Kirchen mit Bombenschäden renovieren lassen. Sie war KPÖlerin und hatte den Spitznamen „Kapellen-Reserl“. Ich bin tolerant erzogen worden. Und in meinem Heimat-Wahlkreis Krems-Egelsee wurde ich sogar als Pfarrgemeinderat vorgeschlagen – was ich nicht annehmen konnte, weil ich aus der Kirche ausgetreten bin. Und bei der Kirchenrenovierung in Egelsee war ich der erste Spender.

derStandard.at: Warum ist Ihnen das wichtig?

Mahrer: Für mich ist tiefer Glaube etwas sehr Persönliches und Respektierbares, und in kleinen Pfarren haben die Menschen einfach das Bedürfnis, ihren Glauben leben zu können – und dazu gehört auch die Kirche. Die Amtskirche hingegen ist der Missbrauch des Glaubens im Interesse einiger weniger – das muss man unterscheiden.

derStandard.at: Wir erklären Sie sich den Erfolg Ihrer Liste?

Mahrer: Wir haben mit unseren „Kremser Nachrichten“ in den letzten 15 Jahren immer ganz gezielt Hintergrundinformationen zur Gemeinderatspolitik vertrieben. Das ist gut angekommen bei den Leuten, dass sie per Postwurfsendung auch außerhalb der Wahlzeiten regelmäßig informiert werden, was im Gemeinderat gelaufen ist und warum. Und mein größter Erfolg war, dass ich beim letzten Budgetbeschluss die Abfassung eines Schuldenberichts an den Gemeinderat, dessen Veröffentlichung im Stadtjournal und die Offenlegung aller Vereinsmitgliedschaften der Stadt durchgebracht habe. Danach ist die Bürgermeisterin rausgerannt und hat verlautbart: „Das ist ein sensationelles, österreichweit einzigartiges Transparenzpaket.“ Aber von wem es stammt, hat sie nicht dazugesagt.

derStandard.at: Was hat die ÖVP falsch gemacht?

Mahrer: Die Frau Bürgermeisterin Ingeborg Rinke, und das klingt aus meinem Mund jetzt vielleicht komisch, ist dem Phänomen der Ostblock-Regierungen erlegen: Man ist ewig an der Macht, hat nur noch Freunde, die einem positiv zureden, ist nur noch der Beste und Schönste und hat das Ohr nicht mehr an der Bevölkerung. Man geht nur noch mit den eigenen Parteifreunden oder mit Bürgern, die einem hinten reinkriechen, fort – und die anderen negiert man. Genau das ist ihr passiert – während ich viel beim Heurigen oder in anderen Lokalen bin und dort mit den Menschen rede. Dort wird viel über Politik gesprochen und darüber, was die Leute wütend macht.

derStandard.at: Und was macht die Menschen wütend?

Mahrer: Der schwerste Fehler, den die ÖVP-Bürgermeisterin gemacht hat, war die sogenannte Grüne Zone – die Parkraumbewirtschaftung. Da wurde Pfusch gemacht. Ich habe bei der Einführung der Grünen Zone ausgerechnet, wie viele Arten zu Parken es in Krems gibt. Damals waren es 18, heute sind es noch wesentlich mehr. Wer in Krems parken will, muss nicht nur die Straßenverkehrsordnung, sondern auch das niederösterreichischen Kraftfahrzeugsabstellgesetz im Gepäck haben, damit er sich auskennt.

derStandard.at: Sie sind nicht KPÖ-Mitglied, haben aber für die KPÖ kandidiert. Warum?

Mahrer: Ich bin 1991 ausgetreten. Ich war im Osthandelsapparat der KPÖ tätig. Und nach der Wende haben Kollegen ein meiner Meinung nach nicht schlüssiges Konzept zur Fortführung vorgelegt, und das ist dann auf intransparente Weise beschlossen worden und hat dann ein miserables Ende genommen. Da hab ich gesagt: Rutscht mir den Buckel runter. Ich hab mich schon vorher nicht besonders mit dem Ostblock identifziert. In den Siebzigerjahren wollte ich meine Diplomarbeit über Außenhandel Österreich-DDR an der Ökonomie-Hochschule Berlin-Karlshorst fertig schreiben. Nach zwei Monaten hat man mir gesagt, ich solle innerhalb von 24 Stunden die DDR verlassen oder mich systemkonform verhalten und dort fertigstudieren – was ich dankend abgelehnt habe. Ich habe halt auch dort meinen kritischen Mund nicht gehalten. Immer, wenn ich Fehler sehe, kritisiere ich die. Ich bin Bürger und entscheide wie ein Bürger und nicht für die Partei.

derStandard.at: Trotzdem werden Sie als Teil der KPÖ gesehen. Das stört Sie nicht?

Mahrer: Nein, überhaupt nicht. Ich stimme in vielen Punkten überein und distanziere mich nicht von der KPÖ, aber ich verlange Unabhängigkeit, und die bekomme ich.

derStandard.at: Sie waren Geschäftsführer einer großen Handelsfirma. Als solcher mussten Sie die Interessen der Eigentümer durchsetzen – gegen die Interessen der ArbeitnehmerInnen. Wie verträgt sich das mit Ihrer Gesinnung?

Mahrer: Ja, aber Eigentümerin war über Treuhänder die KPÖ, und unsere Mitarbeiter haben sehr, sehr gut verdient. Ich war vorher auch Betriebsrat. Und wie mir etwas nicht gepasst hat, habe ich aus Protest den Betriebsrat zurückgelegt. Ich bin ein Gerechtigkeitsfanatiker. Und ich selbst war ja nie Eigentümer – das einzige Eigentum, das ich besitze, ist mein Haus.

derStandard.at: Was heißt für Sie „links“?

Mahrer: Ich bin von Herzen Linker, mein Blut ist rot, mein Herz schlägt links und ich bin Linkshänder – also was bleibt mir anderes über. Von meinen Eltern habe ich sehr viel Toleranz gelernt, und ich sehe, dass die Kapitalismuskritik von Karl Marx absolut richtige Züge hat. Was immer verschwiegen wird, ist seine positive Bewertung der Innovativkraft des Kapitalismus. Man muss einfach nach einem System suchen, das die Fehler der Planwirtschaft vermeidet und gleichzeitig für die großen Kapitalmassen eine demokratische Kontrolle vorsieht. Da bin ich sehr bei Attac.

derStandard.at: Wenn man sich Ihre Aussendungen ansieht, dann geht es hauptsächlich um Budgetdefizite, Benzinpreise, Parkzonen – sind das linke Anliegen?

Mahrer: Ja – sobald es um die Geldbörsen der Bürger geht, ist es sehr wohl Aufgabe eines Gemeinderats, sich darum zu kümmern.

derStandard.at: Sie haben die hohe Schuldenlast der Gemeinde kritisiert. Wo würden Sie sparen?

Mahrer: Man muss das Budget noch einmal auseinander nehmen. So, wie es die FPÖ vorschlägt, dass man einfach Beamte rausschmeißt, kann es nicht gehen – das wäre rechtlich gar nicht möglich. Man muss bei den Subventionen etwas tun – das ist ein ganz schöner Brocken. Und man muss schauen, wo man Verwaltung einsparen kann. Wir haben eine Pressestelle mit vier Mitarbeitern, die ist einfach überbesetzt.

derStandard.at: An der Verkleinerung der Pressestelle wird das Stadtbudget aber nicht genesen.

Mahrer: Nein. Und Krems wird auch nicht durch einen großen Wurf zu sanieren sein. Aber was hat man gemacht in der Vergangenheit? Man hat ein neues Schulzentrum um 28 Millionen Euro gebaut, inklusive Parkhaus. Wenn man die alten Schulen saniert hätte, dann hätte das die Hälfte gekostet. Man hat die Stadtbibliothek verlegt. Die ist zwar wunderschön geworden – aber das alte Gebäude hat man dann viel zu billig ohne Ausschreibung an jemanden aus dem Dunstkreis von Erwin Pröll verschachert. Die Heime hat man laut Rechnungshof um Millionen zu billig verkauft. Das ist die Politik, die diese Stadt ruiniert hat. Und dann darf man sich nicht wundern, wenn sich die Bürgermeisterin einen extrem teuren Wahlkampf leisten konnte – nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“.

derStandard.at: Woher wissen Sie, wie teuer der ÖVP-Wahlkampf war?

Mahrer: Ich weiß es nicht. Aber ich sehe, was es an bezahltem Personaleinsatz gegeben hat. Allein in der Vorwahlnacht von zehn Uhr abends bis drei Uhr früh wurden alle Kremser Haushalte mit einem Rinke-Sackerl mit Marmelade, Äpfeln und Müsliriegeln bestückt, als Frühstückspaket. Für die Hochhäuser hat man Postschlüssel mitgehabt und das Sackerl an jede Tür in Krems draufgehängt. Da können Sie sich allein anhand von diesem letzten Wahlkampfeinsatz vorstellen, wie teuer das war. Die Leute waren aber so angefressen wegen dieser Zwangsbeglückung und Geldverschwendung, dass das genau ins Gegenteil verkehrt wurde.

derStandard.at: Auch Frank Stronach versucht, diese „angefressene“ Stimmung in der Bevölkerung aufzufangen. Glauben Sie, dass er damit Erfolg haben wird?

Mahrer: Wir hatten die Piraten, davor die FPÖ, jetzt Stronach – immer diese Hypes! Die Menschen werden schnell sehen, dass das keine Systemänderung zu ihren Gunsten ist. Warum sind die Leute angefressen? Die Globalisierung hat die Menschen verunsichert und bei den niedrigen Einkommensschichten zu einer wesentlichen Verschlechterung der sozialen Situation geführt. Jetzt suchen die Leute nach Strohhalmen, um irgendwas ändern zu können. Das kann aber sicher nicht der Stronach sein, der ja selbst von diesem System profitiert hat. Man gibt den Leuten immer neue Schuldige – bei Haider und Strache waren’s die Ausländer, aber das funktioniert jetzt nicht mehr, weil jeder sieht, dass es denen selber saudreckig geht. Und jetzt kommen halt die Griechen dran. Nur: Die hungern auch bereits. Die Menschen spüren aber diese Verelendung, die von Griechenland und Portugal aus immer näher nach Zentraleuropa rückt. Die Leute hoffen, dass der Messias sie erlöst. Aber das wird es nicht geben – nur eine wirtschaftliche Systemänderung kann helfen. Und das muss nicht der Kommunismus sein. Aber wenn ich mir die Ideen von Attac anschaue, sehe ich da viele Ansätze: Dass der Finanzsektor unter staatlicher Aufsicht mit strengen Regeln und geringeren Gewinnmargen geführt wird, damit auch Klein- und Mittelbetriebe sich finanzieren können. Da braucht es weltweit Änderungen, nicht nur in Österreich.

derStandard.at: Krems hatte den ersten nationalsozialistischen Bürgermeister Österreichs, die Stadt war Gauhauptstadt, die sogenannte „Kremser Hasenjagd“ zählt zu den großen Verbrechen der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Wie gut wurde diese Vergangenheit aufgearbeitet?

Mahrer: Überhaupt nicht. Krems hat diese Vergangenheit verdrängt, man hat immer nur von den bösen Russen geredet. Es gibt einen sehr engagierten Historiker, der das aufarbeitet, aber der wurde vom Kulturamt kaum unterstützt. Dann wurde ein Denkmal für Deserteure aufgestellt, aber die Stadt hat das am nächsten Tag sofort weggeräumt. Und beim jährlichen Gedenken an das Nazi-Massacker in der Justizanstalt Stein mit 400 Opfern war die Bürgermeisterin nie dabei. Sie hat das negiert. (Maria Sterkl, derStandard.at, 9.10.2012)

Wolfgang Mahrer

sitzt seit zwei Jahren für die Kommunisten und Linkssozialisten (KLS) im Kremser Gemeinderat. Der 63-jährige Pensionist ist studierter Betriebswirt und war lange Zeit Geschäftsführer einer großen Handelsfirma.

Mailinfo der Redakteurin an GR Mahrer:

Übrigens darf ich Ihnen mitteilen, dass das Interview unter den fünf meistgelesenen Artikeln des heutigen Tages ist!

Das ist angesichts der Tatsache, dass es sich um Gemeindepolitik handelt, beachtlich.

LG, M Sterkl

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